Stellungnahme zur Bedeutung des Berufs der Hebammen und der Geburtskultur
Ludwig Janus
Aus der Sicht eines Psychotherapeuten und Pränatalpsychologen ist der staatliche Umgang mit der Versicherungsproblematik bei den freiberuflichen Hebammen unverantwortlich. Für eine humane und mit den Menschenrechten vereinbare Geburtskultur ist er destruktiv.
Eine Geburt ist das basale Ereignis im Leben eines jeden Menschen und eine menschliche Grunderfahrung, die medizinische, seelische, soziale und auch rechtliche Aspekte hat. Derzeit stehen die medizinischen und juristischen Aspekte, die in Notfallsituationen Bedeutung haben, einseitig im Vordergrund. Doch haben die seelische und die soziale Dimension in gleichem Sinne Bedeutung, bzw. sollten in der Regel im Vordergrund stehen. Denn es ist das ureigene Potenzial der Frau gebären zu können, und es ist das Potenzial des Kindes, die Wehen zu nutzen, um sich von der Uteruswand abzustoßen und im Geburtskanal vorwärtszuarbeiten. Diese Potenziale können nur in einem sicheren und begleiteten Raum wirksam werden. Dafür ist eine Eins-zu-eins-Betreuung während der Geburt eine bedeutsame Unterstützung. Die Forschung der amerikanischen Geburtsforscher Klaus u.a. (1993) belegt, dass in einem solchen Rahmen die Notwendigkeit von medizinischen Interventionen um 50% sinkt. Umgekehrt bedeutet das, dass die Dominanz von medizinischen Notfallaspekten in der Geburtssituation Probleme schafft, die oft erst medizinische Eingriffe notwendig machen. Ähnliche Aspekte gelten für die vorgeburtliche Situation, bei der ebenfalls die Aspekte der seelischen und sozialen Dimension im Vordergrund stehen sollten, um eine stressfreie und sichere Situation für Mutter und Kind zu ermöglichen, die für die Entwicklung des Kindes und die basalen Prozesse des „fetal programming“ (Gluckman, Hanson 2006) notwendig sind. Diese primären Entwicklungsbedingungen entscheiden wesentlich über die späteren Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes.
Es ist evident, dass die so entscheidend wichtige seelische und soziale Dimension vor und während der Geburt wesentlich von den Hebammen abgedeckt wird. Entscheidungen in diesem Bereich können nicht nur einem politischen Ermessen folgen, sondern haben eine wesentliche menschenrechtliche Dimension (Eichholz 2015, siehe auch „Manifest der ISPPM zu den Rechten der Ungeborenen auf www.isppm.de). Bei der Geburt handelt es sich eben nicht um ein Ereignis, das allein in die Selbstverwaltung der Akteure im Gesundheitswesen gehört. Hingegen erfüllt die Hebamme eine staats- und gesellschaftserhaltende unverzichtbare Aufgabe, dem Kind auf seinem Weg in die Welt den seelischen, sozialen und praktischen Rückhalt zu geben, auf den es elementar angewiesen ist, und der Mutter die Unterstützung zu geben, die sie für die volle Entfaltung ihres Potenzials zu gebären braucht. Dabei werden die Hebammen durch eine gute Geburtsvorbereitung unterstützt (z.B. Knöbl 2014) und ebenso durch die Förderung der vorgeburtlichen Mutter-Kind-Beziehung (Raffai 2015, s. auch Janus 2016).
Insgesamt handelt sich bei der durch die Hebammen gewährleistete Unterstützung der seelischen, sozialen und praktischen Dimension der Geburt um eine für die Gesellschaft so zentral wichtige staatstragende Aufgabe, dass die „Gewährleistung der Bedingungen für eine sichere Geburt“ sinnvollerweise in die Kategorie eines Staatsziels gehört, wozu etwa der Erhalt von äußerer und innerer Sicherheit oder auch der Tierschutz gehören. Die jetzige Notsituation, in der etwa 60% der freiberuflichen Hebammen wegen der unzumutbaren Rahmenbedingungen ihre Tätigkeit aufgeben müssen und die in der Klinik arbeitenden Hebammen oft mehrere Geburten gleichzeitig betreuen müssen, verstößt jedenfalls eindeutig gegen Kinderrechte aber auch gegen Frauenrechte für eine angemessene Unterstützung und Begleitung während der Geburt. Zudem muss man befürchten, dass die in ihrem Berufsverständnis geschwächten Hebammen nicht in ihrer Kraft stehen, wenn sie Frauen bei der Geburt beistehen. Man muss befürchten, dass, wenn Hebammen allein gelassen werden, auch die Frauen unter der Geburt allein gelassen werden und damit auch die Kinder. Wie sollten Beziehung und Bindung gelingen, wenn Angst um die eigene Sicherheit vorherrschend ist? (Janus 2015, Strüber 2016).
Literatur
Eichholz R (2015) Kinderrechte von Anfang an – die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. In: Hildebrandt S, Blazy H, Schacht J, Bott W (Hg.) Ich spüre, also bin ich. Mattes, Heidelberg.
Gluckman P, Hanson M (Hg.) (2006) Developmental (fetal) origins of health and disease. University Press, Cambridge New York.
Janus L (2015) Geburt. Psychosozial, Gießen.
Janus L (2016) Übersicht über das Forschungs- und Praxisfeld der psychologischen Dimension von Schwang^erschaft und Geburt. Download von www.Ludwig-Janus.de.
Klaus M, Kennell J, Klaus P (1993) Doula. Mosaik, München.
Knöbl G (2014) Im Kontakt mit dem Kind – Geburtscoaching. Deutsche Hebammenzeitschrift 11, 59-62.
Raffai J (2015) Jenö Raffai „Gesammelte Aufsätze“. Mattes, Heidelberg.
Schücking B (2014) Die sozialpolitische und kulturelle Bedeutung der Kaiserschnittgeburt. In: Hildebrandt, s. u.a. (Hg.) Kaiserschnitt – zwischen Traum und Trauma, Wunsch und Wirklichkeit. Mattes, Heidelberg.
Strüber N (2016) Die erste Bindung, Klett-Cotta, Stuttgart.
Adresse des Autors:
Dr. med. Ludwig Janus, Pastpresident der ISPPM
Jahnstr. 46, 69221 Dossenheim
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