Kulturpsychologie - Psychohistorie
Die Pränatale Psychologie bietet den Kulturwissenschaften und der Kulturpsychologie eine entscheidende Erweiterung des konzeptuellen Raumes. War bisher entsprechend dem aktuellen Commonsense die persönliche Biografie nach der Geburt der Bezugspunkt für alle Verstehensprozesse, so bietet die Pränatale Psychologie mit ihrer Erweiterung des biografischen Raumes um die Zeit vor und während der Geburt eine ganz neue Dimension kulturwissenschaftlichen und kulturpsychologischen Verstehens (Janus 2011). In der Zeit vor und während der Geburt werden unsere basalen emotionalen Muster ausgebildet, die ein Hintergrund für das spätere Verständnis der nachgeburtlichen Welt sind (siehe die entsprechenden Downloads). Der vorgeburtlichen und geburtlichen Erlebniswelt entstammen unsere Mythologien und magischen Erlebnisweisen, die früher den gesellschaftlichen Raum offen gestalteten, aber auch heute noch als Hintergrundsvorstellungen in unseren gesellschaftlichen Gestaltungen mitlaufen.
Der historische Prozess stellt sich unter diesem Aspekt als ein fortlaufender Lern- und Verinnerlichungsprozess dar: anfangs der Geschichte waren die seelischen Inhalte in einer archaischen Mentalität projiziert, während das moderne Subjekt seit der Aufklärung darum bemüht ist, die Gefühle und sozialen Verhaltensweisen innerlich zu regulieren. Man kann die moderne Kunst wesentlich in diesem Sinne als eine Bemühung verstehen, die Wirklichkeit des vorsprachlichen Erlebens zu erkunden (Janus, Evertz 2008).
Besondere Bedeutung hat die Pränatale Psychologie für das Verständnis politischer und historischer Prozesse, bei denen die Reinszenierung vorgeburtlicher und geburtlicher Erfahrung ein wesentliches Element ist (DeMause 2000, 2005, Janus 2008). Ganz konkrete gesellschaftliche und gesundheitspolitische Bedeutung hat die Pränatale Psychologie, weil sie mit der Stärkung der Elternkompetenz (Janus 2010, u.a.) und der Förderung der vorgeburtlichen Mutter-Kind Beziehung (Hidas und Raffai 2005) eine grundlegende Möglichkeit der Prävention anbietet, die die Konfliktfähigkeit und Friedensfähigkeit in unseren Gesellschaften entscheidend fördern könnte (Grille 2005).
Literatur:
DeMause L (2000) Die fötalen Ursprünge der Geschichte. In: DeMause L: Was ist Psychohistorie. Psychosozial, Gießen.
DeMause L (2005) Die Wiederaufführung früher Traumen in Krieg und sozialer Gewalt. In: DeMause L: Das emotionale Leben der Nationen. Drava, Klagenfurt.
Grille R (2005) Parenting for a Peaceful World. Longeville Media, Alexandria, Australia.
Hidas G, Raffai J (2005) Die Nabelschnur der Seele. Psychosozial, Gießen.
Janus L (2008) Die Geschichte der Menschheit als psychologischer Entwicklungsprozess. Mattes, Heidelberg.
Janus L (2010) Über Grundlagen und Notwendigkeiten der Förderung der Elternkompetenz. In: Völlmicke E, Brudermüller G (Hg.) Familie – ein öffentliches Gut? Könighausen und Neumann, Würzburg.
Janus L (2011) Wie die Seele entsteht. Mattes, Heidelberg.
Janus L, Kurth W, Reiss H, Egloff G (Hg.) (2015) Verantwortung für unsere Gefühle - die emotionale Dimension der Aufklärung. Mattes, Heidelberg.